Tabletten mit Tücken
Tabletten mit Tücken
Eine Messerspitze Bisoprolol für Frau Meier, ein Teelöffelchen Ibuprofen für Herrn Schmid – könntest du dir so die morgendliche Medikamentenvergabe vorstellen?
Ich auch nicht.
Ein Wirkstoff allein ist noch kein einnahmefähiges Medikament. In früheren Zeiten war es zwar üblich, Arzneistoffe löffelweise in Form eines Pulvers einzunehmen.
Allerdings kam es häufig zu Unter- bzw. Überdosierungen. Ein Löffel voll ist nicht gleich ein Löffel voll, und ein paar Bröselchen zu viel können schwere Nebenwirkungen verursachen.
William Brockedon, ein britischer Maler und Erfinder, wollte mit der Erfindung der Tablette
Mitte des 19. Jahrhunderts die Arzneimitteleinnahme vereinfachen.
Durch seine grandiose Idee ist heute gewährleistet, dass mit jeder Einnahme immer exakt die gleiche Wirkstoffmenge verabreicht werden kann.
Um solche festen peroralen Arzneiformen – so werden Tabletten und ihre Verwandten in der Fachsprache genannt - herstellen zu können, brauchen wir Hilfsstoffe.
Sie machen das Arzneimittel nicht nur besser dosierbar, sondern können den Arzneistoff in vielerlei Hinsicht unterstützen.
Sie können für eine bessere Haltbarkeit und Stabilität sorgen. Mit Hilfsstoffen kann man auch eklige Wirkstoffe verpacken, um das Schlucken erträglich zu machen. Außerdem können durch bestimmte Hilfsstoffe Arzneimittel mit veränderter Wirkstofffreisetzung hergestellt werden, die dann zum Beispiel länger wirken können.
Die Arzneimitteleinnahme wird uns also durch die Erfindung von Mr. Brockedon erheblich erleichtert – unkompliziert ist sie dennoch nicht!
Das können wir schon daran sehen, wie viele unterschiedliche feste perorale Arzneiformen uns im Pflegealltag begegnen:
Tabletten
Tabletten bestehen aus dem eigentlichen Wirkstoff und meist mehreren Hilfsstoffen. Sie werden aus Pulvern gepresst.
Bekommt die Tablette nach dem Pressen einen Überzug, nennt man sie Filmtablette. Durch die glatte Schutzschicht wird etwa das Schlucken erleichtert.
Eine Besonderheit ist der magensaftresistente Überzug. Den erkläre ich in einer der nächsten Folgen!
Es gibt aber noch viele weitere Tablettenformen, beispielsweise Kau-, Lutsch-, Brause- oder Sublingualtabletten:
Kautabletten werden – wie der Name sagt - zerkaut und dann erst geschluckt.
Kautabletten können meist ohne Wasser und auch bei Schluckbeschwerden eingenommen werden.
Lutschtabletten behält man im Mund, bis sie sich vollständig aufgelöst haben - sie werden nicht geschluckt. Der Wirkstoff entfaltet seine Wirkung schon im Mund- und Rachenraum.
Das ist etwa bei Präparaten gegen Halsschmerzen sehr praktisch.
Brausetabletten lösen sich in Wasser sprudelnd auf. Auch der Wirkstoff liegt dann schon gelöst vor und muss nicht erst aufwändig vom Körper aus der Tablette freigesetzt werden.
Er gelangt schnell in den Dünndarm und kann dadurch schneller wirken. Brausetabletten können eine Alternative für Menschen sein, die Probleme mit dem Schlucken von Tabletten haben. Allerdings sind vergleichsweise wenig Wirkstoffe als Brausetabletten im Handel. Bestimmt denkst du hier sofort an ganz bestimmte Kopfschmerztabletten!
Sublingual- und Bukkaltabletten werden unter die Zunge (sublingual) oder in die Backentasche (bukkal) gelegt, damit sie unmittelbar in die kleinen Blutgefäße unter der Zunge gelangen.
Sie werden nicht geschluckt. Der Wirkstoff wird flugs über die Mundschleimhaut resorbiert und gelangt ohne den Umweg über Darmwand und Leber direkt ins Blut. Für die meisten Arzneimittel ist dieser Weg jedoch ungeeignet, weil sie so nur unvollständig aufgenommen werden.
Diese Tablettenform wird auch als „Schmelztablette“ bezeichnet.
Dragees
Bestimmt hast du schon einmal Schokolinsen genascht!
Auch das sind Dragees: Sie besitzen eine glatte, harte Zuckerhülle und im Kern steckt der „Wirkstoff“. Tatsächlich haben wir Apotheker das von den französischen Konditoren abgeschaut.
Durch die dicke Hülle des Dragees kann man – genau wie bei den Filmtabletten – einen üblen Geschmack oder Geruch überdecken. Die Hülle kann aber auch aus einem magensaftresistenten Überzug bestehen oder die Freigabe des Wirkstoffes verzögern. Der Nachteil dieser harten Hülle: Dragees sind nicht teilbar.
Kapseln
Kapseln bestehen aus einer Hülle, in der sich der Wirkstoff befindet. Häufig ist der Wirkstoff als Pulver oder Granulat in einer Hartgelatinekapsel verarbeitet. Ist der Wirkstoff flüssig, werden Weichgelatinekapseln verwendet.
Einige dieser festen Arzneiformen gibt es in einer hilfreichen, aber etwas komplizierteren Form:
Als Retard-Arzneimittel.
„Retard“ bedeutet so viel wie „verzögert“. Bestimmte Hilfsstoffe sorgen dafür, dass der Wirkstoff über einen längeren Zeitraum freigesetzt wird. Die Wirkung solcher Arzneiformen dauert länger an, und das Arzneimittel kann deswegen seltener eingenommen werden. Also zum Beispiel nur noch einmal täglich, statt dreimal. Das ist etwa bei chronischen Schmerzen sehr praktisch!
Retard-Arzneimittel enthalten deswegen natürlich eine deutlich höhere Wirkstoffmenge als solche ohne Retard-Wirkung. Wird eine solche Tablette - zum Beispiel durch Mörsern oder unerlaubtes Teilen - zerstört, wird der gesamte enthaltene Wirkstoff auf einmal freigegeben.
Das kann eindrucksvolle Nebenwirkungen infolge einer ungeplant hohen Dosierung nach sich ziehen. Das Zerkleinern von Retard-Arzneiformen ist daher grundsätzlich höchst problematisch und nur bei einigen wenigen Medikamenten ohne schlimme Folgen möglich. Dazu erklären ich dir aber in einem der folgenden Posts noch mehr!
So viele verschiedene Arten von Tabletten und so viele mögliche Fehlerquellen bei der Anwendung!
Welche Punkte gibt es bei der Applikation von festen peroralen Arzneiformen zu beachten?
Das richtige Getränk zum Runterspülen
Das Problem:
Nicht jede Flüssigkeit eignet sich zum Schlucken von Arzneimitteln.
Milch und Mineralwässer beispielsweise können mit bestimmten Arzneistoffen unlösliche Komplexe bilden. Diese sind dann einfach zu groß, um durch die Darmschleimhaut ins Blut gelangen zu können und werden einfach wieder ungenutzt ausgeschieden. Das Arzneimittel kann also gar nicht richtig wirken.
Bei Grapefruitsaft ist genau das Gegenteil der Fall: Der bittere Saft kann die Wirkung – und somit auch die Nebenwirkungen – mancher Arzneimittel unkontrolliert steigern. Und das kann richtig gefährlich werden!
Die Lösung:
Perorale Arzneimittel sollten immer mit ausreichend Leitungswasser eingenommen werden.
150 – 200 ml sollten es sein. Denn gerade älteren Menschen bleibt so manche Tablette oft buchstäblich im Halse stecken, wenn sie mit zu wenig Flüssigkeit geschluckt wird. Die Tabletten oder Kapseln haften dann an der Speiseröhrenschleimhaut an, wodurch die Speiseröhre geschädigt werden kann.
Besonders Bisphosphonate (das sind Arzneistoffe gegen Osteoporose), nichtsteroidale Antirheumatika (z.B. Ibuprofen oder Diclofenac), aber auch Kaliumchlorid gehören zu den besonders Schleimhaut reizenden Substanzen.
Klebt eine Tablette erstmal an der Speiseröhrenschleimhaut, ist sie oft nur mit sehr viel Flüssigkeit weiterzubewegen. Um dem vorzubeugen, ist ein weiterer Aspekt besonders wichtig:
Die richtige Körperhaltung
Damit Tabletten auch wirklich im Magen landen, sollten sie immer in aufrechter Körperhaltung eingenommen werden.
Das ist besonders wichtig bei Medikamenten gegen Osteoporose, den Bisphosphonaten. Hier sollte die aufrechte Position mindestens 30 Minuten beibehalten werden.
Wenn diese Tabletten nämlich an der Speiseröhre haften bleiben, können sie böse Geschwüre verursachen!
Und was solltest du zum richtigen Zeitpunkt wissen?
Vor oder nach dem Essen? Viele Arzneimittel müssen zu bestimmten Zeitpunkten eingenommen werden, weil sie sonst schlechter wirken oder gar nicht mehr wirksam sind.
- Die meisten Arzneimittel können zum Glück ganz unkompliziert unabhängig vom Essen eingenommen werden.
- Manche müssen zwingend nüchtern eingenommen werden. Steht im Beipackzettel „vor dem Essen“ ist das praktisch mit nüchtern gleichzusetzen. Wird ein solches Arzneimittel zum oder nach der Mahlzeit verabreicht, kann das unter Umständen zum vollständigen Wirkungsverlust führen.
- Zum Essen bedeutet: „zwischen zwei Bissen“ und
- nach dem Essen: ist leider nicht ganz so konkret definiert. Oft gilt direkt nach der Mahlzeit. Bei einigen Arzneimitteln muss aber eine gewissen Zeitspanne abgewartet und die Tablette erst 2 Stunden nach dem Essen geschluckt werden.
Mögliche Sonderfälle findest du im Beipackzettel.
Bei einigen Medikamenten ist sogar die Tageszeit für die Wirkung entscheidend. Organe, Zellstrukturen und Hormone: Sie alle arbeiten, je nach Tageszeit, ganz unterschiedlich. Der frühe Morgen ist beispielsweise der beste Zeitpunkt für Kortisonpräparate. Die Nebennierenrinde schüttet um diese Zeit nämlich ohnehin das körpereigene Cortisol aus.
Darauf stellen sich auch die übrigen Organsysteme ein, die zusätzliche Dosis durch die Tablette wird besser toleriert und die Kortison-Nebenwirkungen fallen geringer aus.
Die Einnahmehäufigkeit
Ein-, zwei- oder dreimal täglich? Dafür gibt es Regeln:
- Einmal täglich heißt: jeden Tag zur selben Uhrzeit. Am besten ziemlich genau alle 24 Stunden.
- Zweimal täglich heißt: im Abstand von 12 Stunden. Bei einem üblichen Tagesrhythmus bietet sich morgens und abends an.
- Dreimal täglich – du ahnst es – heißt eben NICHT: morgens, mittags, abends. Sondern dreimal am Tag mit jeweils acht Stunden Abstand.
Von diesen Vorgaben solltest du nicht mehr als eine Stunde abweichen.
Wenn du es geschafft hast, bis hierher zu lesen: meine Hochachtung ;)

